Politik muss neue Wege gehen
AGRA Europe hat Agrarwissenschaftlerinnen und Agrarwissenschaftler um Antworten auf die Frage gebeten, was die neue Bundesregierung aus ihrer Sicht anpacken sollte. Justus Wesseler ist Professor für Agrarökonomie und ländliche Politik an der Universität Wageningen. Ein Forschungsschwerpunkt sind die Beiträge von neuen Technologien auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit von Wertschöpfungsketten. Der 61-jährige Agrarökonom ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE).
Die neue Bundesregierung steht vor großen Herausforderungen. Der andauernde Krieg in der Ukraine und die Positionierung der westlichen Partnerländer wird die politischen Debatten in Deutschland und in der EU in den kommenden Monaten bestimmen, ebenso wie der Umgang mit der illegalen Migration. Viele befürchten, dass dadurch wichtige Themen wie der Klima- und der Umweltschutz vernachlässigt werden. Tatsächlich konkurrieren diese Themen nicht nur um die öffentliche Aufmerksamkeit, sondern ebenso um die verfügbaren finanziellen Ressourcen.
Die Ziele des Europäischen Green Deals und der darin enthaltenen Farm-to-Fork-Strategie sind zur Erhaltung der landwirtschaftlichen Versorgungssicherheit wichtig. Die Verringerung des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldüngern, die Förderung des ökologischen Landbaus, Maßnahmen zur Steigerung der Biodiversität und eine deutliche Reduzierung der Treibhausgasemissionen in der Landwirtschaft sind entscheidend, um widerstandsfähige Landwirtschaftsformen zu entwickeln, die auch in Zukunft unsere Ernährung sichern können.
Gleichzeitig ist es schwieriger geworden, die genannten Ziele zu erreichen. Zum einen hat der Krieg in der Ukraine maßgeblich dazu beigetragen, dass die Preise für Nahrungsmittel vor allem in den Jahren 2022 und 2023 rasant gestiegen sind. Die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen des Green Deals zum Umwelt- und Klimaschutz im Bereich der Landwirtschaft könnte zu weiteren Preissteigerungen führen. Dies ist in der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation schwer vermittelbar. Zum anderen besteht innerhalb der Landwirtschaft erheblicher Widerstand gegen höhere Auflagen, die produktionssenkend wirken, mit höheren bürokratischen Anforderungen einhergehen und den Wettbewerb mit Anbietern aus Drittstaaten verzerren.
Um die Ziele den Green Deals dennoch erfolgreich umsetzen zu können, sind neue Lösungsmöglichkeiten gefragt. So ist es notwendig, die Ziele differenzierter auszugestalten. Das Flächenziel für den ökologischen Landbau ist eine angestrebte Größenordnung, die nicht in jedem Mitgliedstaat realistisch ist. Die Entwicklung des ökologischen Landbaus muss sich am Markt orientieren, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Generell ist das Setzen von Anreizen der starren Vorgabe von Zielen vorzuziehen.
In der Vergangenheit hat vor allem das Verbot bestimmter Pflanzenschutzmittel die Landwirte vor Probleme gestellt, da keine alternativen Produkte zur Verfügung standen. Es muss daher dringend an der Entwicklung solcher Alternativen gearbeitet werden. Hier bieten sich insbesondere Lösungen an, die auf biotechnologische Verfahren zurückgreifen, da diese Verfahren einen breiten Einsatz in der Land- und Ernährungswirtschaft finden, einschließlich des Einsatzes von neuen Pflanzenzüchtungsmethoden. Deutschland hat sich in der Vergangenheit damit schwergetan, das Potenzial dieser Verfahren für eine nachhaltige Entwicklung auszunutzen. Die neue Regierung sollte diese ablehnende Haltung aufgeben. Ganz konkret bedeutet dies, dass Deutschland seine Enthaltung bei der Reform der Zulassung von neuen Pflanzenzüchtungsmethoden aufgeben und dem europäischen Reformpapier zustimmen sollte.
Neue Lösungsmöglichkeiten werden von gesellschaftlichen Gruppen unterschiedlich bewertet. Die jeweiligen Perspektiven und die ihnen zugrundliegenden Wertevorstellungen sind offenzulegen, damit Bürgerinnen und Bürger sich ein besseres Bild der einzelnen Gruppen erstellen können. Mögliche höhere Anforderungen an die Landwirte müssen überzeugend kommuniziert werden. Dafür bedarf es eine Kommunikationsstrategie, die nicht als Bevormundung aufgefasst wird. AgE